
Vorbilder
Warum wir Vorbilder brauchen – und warum sie heute so selten geworden sind
Es gibt Momente im Leben, da brauchen wir jemanden, an dem wir uns orientieren können. Jemand, der zeigt: Es geht. Es ist möglich.
Für manche ist das ein Lehrer, der an einen glaubt. Für andere eine Führungskraft, die Haltung beweist. Für wieder andere vielleicht ein älterer Freund, der schon einmal durch das Tal gegangen ist, in dem man selbst gerade steckt. Selbst erfundene Charaktere sind manchmal Vorbilder. Der Held aus der Geschichte oder vielleicht auch der Antiheld – der Bösewicht.
Ich erinnere mich an eine Klientin, die in ihrem Job völlig ausgebrannt war. Sie sagte: „Ich habe niemanden mehr, zu dem ich aufsehen kann. Alle machen nur noch Dienst nach Vorschrift.“ Was sie suchte, war nicht Perfektion, sondern ein Mensch, der ihr zeigt: Man kann auch anders leben, anders führen, anders arbeiten. Jemand, der Orientierung gab. Einen menschlichen Kompass.
Vorbilder – mehr als nur Idole
Vorbilder sind nicht einfach Promis an der Wand oder Influencer im Feed. Ein Vorbild ist ein Mensch, an dem wir erkennen, wie ein Leben auch aussehen könnte. Sie verkörpern Werte, Möglichkeiten und Orientierung.
Studien zeigen: Wer Vorbilder hat, entwickelt mehr Selbstvertrauen, trifft mutigere Entscheidungen und bleibt eher auf Kurs, wenn es schwierig wird. Besonders bei Jugendlichen sind positive Role Models entscheidend – sie können das Risiko für riskantes Verhalten senken und Motivation steigern.
Aber es geht nicht nur um Kinder und Jugendliche. Auch wir Erwachsene brauchen Orientierung. Gerade in Phasen der Veränderung oder Unsicherheit sind Vorbilder wie Leuchttürme: Sie zeigen eine Richtung, ohne dass sie den Weg für uns gehen.
Nahbar statt unerreichbar
Das Spannende: Es sind oft nicht die ganz großen Stars, die wirklich etwas in uns bewegen.
Ein Schüler wird eher von der Mathematiklehrerin inspiriert als vom Nobelpreisträger, den er nie trifft. Eine junge Führungskraft schaut lieber auf die Kollegin aus dem Nachbarteam, die trotz Druck menschlich bleibt, als auf den CEO, den sie nur aus Hochglanzbroschüren kennt.
Die Forschung bestätigt: Vorbilder wirken dann am stärksten, wenn sie erreichbar und „ähnlich“ sind – wenn wir das Gefühl haben: Das könnte auch ich sein.
Warum Vorbilder heute rar sind
Und doch: Wir haben heute weniger Vorbilder als früher. Woran liegt das?
- Vertrauensverlust: Institutionen, die früher Vorbilder hervorgebracht haben – Politik, Kirchen, große Unternehmen – genießen kaum noch Vertrauen. Wer glaubt schon noch, dass „die da oben“ uns den richtigen Weg zeigen?
- Medienlandschaft: Social Media hat klassische Vorbilder verdrängt. Heute dominieren Influencer, die oft mehr Marketing-Produkt als Mensch sind. Die Wirkung: Viele Jugendliche vergleichen sich mit einer Scheinwelt und fühlen sich minderwertig.
- Arbeitswelt: In vielen Unternehmen fehlen Führungskräfte, die wirklich Haltung zeigen. Stattdessen erleben Mitarbeitende Opportunismus, Angst vor Fehlern und politische Spielchen. Wer soll da Vorbild sein?
Das Ergebnis: Wir suchen Orientierung, finden aber oft nur glänzende Fassaden.
Die Schattenseiten falscher Vorbilder
Natürlich suchen wir uns Vorbilder. Immer. Aber wenn die falschen Menschen diese Rolle einnehmen, kann es gefährlich werden.
Influencer, die Schönheitsideale zementieren. Führungskräfte, die Machtspiele vorleben. Stars, die Exzesse als Normalität verkaufen. Oder Politiker, deren Versprechen sich in Luft auflösen.
Die Gefahr liegt darin, dass wir anfangen, diese Muster zu kopieren – oft unbewusst. Und genau deshalb ist es so entscheidend, dass wir wieder echte, greifbare Vorbilder sichtbar machen.
Was wir tun können
- Vorbilder sichtbar machen
Erzähle Geschichten von Menschen, die inspirieren – nicht weil sie perfekt sind, sondern weil sie einen Unterschied machen. Eine Krankenschwester, die trotz Stress ihre Würde bewahrt. Ein Teamleiter, der fair bleibt, auch wenn es unbequem ist. - Mentoring und Coaching fördern
Strukturen schaffen, in denen Menschen ihre Erfahrung weitergeben können. Vorbilder entstehen oft dort, wo jemand bereit ist, den eigenen Weg transparent zu machen. - Führung neu denken
Wer Verantwortung trägt, ist automatisch Vorbild – ob er will oder nicht. Deshalb braucht es Führungskräfte, die sich ihrer Wirkung bewusst sind und bewusst Haltung zeigen. - Medienkompetenz stärken
Vorbilder unterscheiden lernen: Was ist echt, was ist Inszenierung? Gerade für Jugendliche ist das entscheidend.
Ein persönliches Fazit
Wir leben in einer Zeit, in der echte Vorbilder rar geworden sind. Aber gerade deshalb ist die Sehnsucht nach ihnen groß.
Wir brauchen Menschen, die Mut machen, Orientierung geben und zeigen, dass es Alternativen gibt.
Im Coaching begegne ich immer wieder Menschen, die unbewusst alten Vorbildern folgen – Eltern, Chefs, Lehrern, manchmal sogar fiktiven Helden. Manchmal sind diese Stimmen hilfreich, manchmal halten sie uns klein.
Im systemischen Coaching machen wir diese inneren Rollenbilder sichtbar. Eine kraftvolle Methode dafür ist die Systemische Aufstellung: Sie zeigt, wer in unserem inneren Team noch das Sagen hat – und wer vielleicht längst abtreten dürfte.
Wenn wir diese Dynamiken erkennen, können wir beginnen, alte Muster zu lösen und Platz zu schaffen für neue, stimmigere Vorbilder.
Erst wenn wir verstehen, wem wir folgen, können wir unseren eigenen Weg gehen – und selbst zu dem werden, was wir bei anderen suchen.
Vielleicht ist genau das die wichtigste Frage:
Für wen könnte ich eigentlich ein Vorbild sein?
Denn Vorbilder sind nicht die perfekten Menschen da draußen.
Vorbilder sind wir – wenn wir uns trauen, Haltung zu zeigen.
Was bedeutet „Vorbild“ für dich?
Wer hat dich geprägt – und wem bist du heute selbst Orientierung?
Schreib mir doch einen Kommentar.
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