Arbeitswelt,  Gesellschaft

Ghosting im Recruiting

Die stille Gewalt im Bewerbungsprozess

„Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Wir melden uns in Kürze.“
Und dann? Nichts. Keine Absage, kein Feedback, kein Lebenszeichen. Wochen oder Monate vergehen, bis Bewerber:innen erkennen müssen: Sie wurden geghostet.

Was in Dating-Apps seit Jahren Thema ist, greift zunehmend auch im Recruiting um sich. Studien zeigen: Rund ein Drittel aller Bewerber berichten, dass sie nach einem Bewerbungsgespräch nie wieder etwas gehört haben. Für viele fühlt sich das wie „Psycho-Terror“ an – subtil, aber verletzend.

In diesem Artikel werfe ich einen systemischen Blick auf Ghosting und die psychologischen Mechanismen dahinter – und zeigen Strategien, wie du als Bewerber:in souveräner damit umgehen kannst.


Was ist Ghosting im Recruiting?

Ghosting bedeutet, dass eine Partei den Kontakt abrupt abbricht, ohne Erklärung oder Rückmeldung. Im Recruiting betrifft das:

  • Nach der Bewerbung: Du schickst Unterlagen und hörst nie wieder etwas.
  • Nach dem Gespräch: Du investierst Zeit, Energie und Hoffnung – und bekommst keine Antwort.
  • Während des Prozesses: Kommunikation läuft, dann verstummt der Recruiter plötzlich.

Das Ergebnis: Bewerber:innen bleiben im Unklaren, ob sie „draußen“ sind, ob noch geprüft wird oder ob schlicht niemand Lust hat, eine Nachricht zu tippen.


Die psychologische Dimension von Ghosting

Ghosting ist mehr als fehlende Information – es verletzt psychologische Grundbedürfnisse:

  • Sicherheit & Kontrolle: Menschen brauchen Vorhersagbarkeit. Schweigen erzeugt Kontrollverlust.
  • Anerkennung: Keine Rückmeldung vermittelt unterschwellig: „Du bist nicht einmal eine Absage wert.“
  • Selbstwert: Studien belegen, dass Ghosting stärkere negative Gefühle auslöst als eine klare Zurückweisung.

Ghosting wirkt wie ein „sozialer Schmerz“. Neurowissenschaftlich werden ähnliche Regionen aktiviert wie bei körperlicher Verletzung. Und dieser Schmerz hält länger an, weil er nicht abgeschlossen ist – Bewerber:innen hängen im Schwebezustand.


Warum ghosten Unternehmen?

So nachvollziehbar der Ärger ist – oft steckt kein böser Wille dahinter. Ursachen sind u. a.:

  • Überlastung der HR-Abteilungen: Zu viele Bewerbungen, zu wenig Kapazität.
  • Fehlende Systeme: Kein automatisiertes Bewerbermanagement, keine klaren Prozesse.
  • Angst vor Konflikt: Recruiter vermeiden unpopuläre Nachrichten.
  • Machtasymmetrie: Das Unternehmen „kann es sich leisten“, Bewerber warten zu lassen.

Systemischer Blick: Ghosting ist weniger ein individuelles Versagen, sondern Ausdruck von Organisationskultur und Prioritäten. Firmen, die Ghosting tolerieren, senden unbewusst Botschaften: Wertschätzung und Transparenz sind hier nicht verankert.


Folgen für Unternehmen

Ghosting ist kurzfristig bequem, langfristig schädlich:

  • Employer Branding leidet: Bewerber:innen teilen negative Erfahrungen online.
  • Kosten steigen: Abgewiesene, aber informierte Kandidat:innen bewerben sich später evtl. erneut – geghostete eher nicht.
  • Kundenseite betroffen: In vielen Branchen sind Bewerber auch Kunden. Schlechte Erfahrung = verlorene Kund:innen.

Recruiting-Studien zeigen: Schon eine einzige negative Erfahrung reicht, um die Markenwahrnehmung nachhaltig zu beschädigen.


Was kannst du als Bewerber tun?

Ghosting kannst du nicht verhindern – aber du kannst lernen, es nicht zum psychologischen Minenfeld werden zu lassen. Drei Strategien:

1. Klare Erwartungshaltung setzen:
Frage im Gespräch: „Bis wann kann ich mit einer Rückmeldung rechnen?“ Notiere die Frist.

2. Aktives Follow-up:
Melde dich nach der vereinbarten Zeit freundlich: „Ich wollte mich erkundigen, ob es schon eine Entscheidung gibt.“ Maximal zwei Follow-ups sind professionell – danach ist Schweigen Antwort genug.

3. Reframing:
Ghosting sagt mehr über die Kultur des Unternehmens als über dich. Ein Unternehmen, das dich nicht wertschätzend behandelt, gibt dir unbeabsichtigt schon eine Vorschau auf die Zusammenarbeit.


Ein Ritual zum Loslassen

Viele Bewerber hängen emotional fest: „Vielleicht melden sie sich ja noch …“ Hier hilft ein kleines Ritual:

  • Markiere im Kalender die Deadline.
  • Kommt bis dahin keine Rückmeldung, schreib eine letzte Mail („Danke für Ihre Zeit, ich orientiere mich jetzt anderweitig“).
  • Danach: Gespräch abhaken, Ordner schließen.

Das mag hart wirken – aber psychologisch schafft es Abschluss. Du entziehst dem Schweigen die Macht.


Was gute Unternehmen anders machen

Vorbildlich sind Unternehmen, die:

  • Transparente Timelines kommunizieren.
  • Klare Absagen schicken (auch automatisiert).
  • Feedback geben, wo es möglich ist.

Manche Firmen nutzen Bewerbermanagement-Software, die automatische Updates verschickt – das kostet wenig, bewirkt aber viel. Andere pflegen Feedbackkultur bewusst als Teil ihrer Marke.


Fazit: Ghosting ist stille Gewalt – und eine Entscheidung

Ghosting im Recruiting ist kein kleiner Fauxpas, sondern ein Muster, das Menschen verletzt und Unternehmen schadet. Wer es ignoriert, verstärkt eine Kultur der Missachtung.

Als Bewerber:in kannst du Ghosting nicht verhindern, aber du kannst die Deutungshoheit zurückholen. Frag nach, setze Grenzen, schließe ab. Und nimm mit: Ein Unternehmen, das dich ghostet, zeigt dir unfreiwillig, wie es dich im Alltag behandeln würde.


Quellen (Auswahl) zum weiterlesen:

  • Ghosh, A. (2021). Candidate Ghosting in Recruitment: A Systematic Review.
  • Indeed Hiring Lab (2022): The rise of ghosting in hiring processes.
  • Harvard Business Review (2021): When Companies Ghost Job Candidates, It Hurts Their Brand.
  • Psychology Today (2020): The pain of being ghosted.
  • SIOP Journal (2023): Impact of Candidate Experience on Employer Branding.

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