Arbeitswelt,  Gesellschaft,  Gesundheit

Kontrolle im Kontrollverlust

Warum Organisationen und Menschen nach Halt greifen (und wie Coaching professionell Grenzen setzt)

In einer Welt, die sich immer schneller dreht (VUCA), steigt das Bedürfnis nach Kontrolle.
Globale Krisen, geopolitische Spannungen, volatile Märkte, Fachkräftemangel, KI-Sprünge – alles zusammen erzeugt ein permanentes Grundrauschen.
Und dieses Rauschen wirkt.

Menschen und Organisationen greifen in genau solchen Zeiten nach Strukturen, Routinen und Systemen, die ihnen ein Gefühl von Stabilität geben.
Das ist nachvollziehbar – aber nicht immer gesund. Und im Business zeigt sich dieser Kontrollmechanismus oft in Formen, die auf den ersten Blick „professionell“ wirken, aber im Kern Ausdruck von Überforderung sind.


Vier typische Kontrollmuster in Unternehmen

1. Micromanagement – die Spiralbewegung nach unten

Micromanagement entsteht selten aus Machtstreben.
Viel häufiger ist es ein Frühwarnsignal dafür, dass Führungskräfte die Komplexität nicht mehr einordnen können.

Typische Anzeichen:

  • ständige Rückfragen zu Details
  • Überwachung einzelner Arbeitsschritte
  • fehlende Delegation
  • ein „Wir müssen alles eng führen“-Narrativ

Organisationen kennen diesen Zustand gut: Wenn Druck steigt, wird gefühlt „enger gesteuert“.
Das Problem:
Micromanagement erzeugt kurzfristige Kontrolle, aber langfristigen Kontrollverlust.
Teams verlieren Selbstwirksamkeit, Verantwortungsübernahme sinkt, Entscheidungen werden lähmend langsam.

Coaching kann hier ansetzen – allerdings nur, wenn der Mensch selbst merkt, dass er aus einer Überforderungslogik handelt.
Dann geht es um Selbstführung, Delegationskompetenz, Vertrauen, Priorisierung und das Navigieren in Unsicherheit.


2. Perfektionismus – Clean Corporate als Schutzschild

Im Unternehmenskontext zeigt sich Perfektionismus oft weniger als „Fehlerangst“, sondern als überkorrekte, klinisch reine Performance.
Alles sauber, glatt, widerspruchsfrei – Clean Corporate.
Jede Präsentation poliert, jede Formulierung makellos.
Perfektionismus wird Teil der Unternehmenskultur, manchmal sogar Teil des Employer Brandings.

Doch Perfektionismus ist eine verdeckte Kontrollstrategie:
Je unsicherer das Umfeld, desto perfekter muss der Output wirken.

Das Problem:
Perfektionismus reduziert Innovationskraft, hemmt Geschwindigkeit und verstärkt Schuldgefühle.
Coaching kann helfen, die Balance zwischen Qualität und Pragmatismus neu zu sortieren.
Aber wenn der Perfektionismus bereits zwanghafte Züge trägt, ist therapeutische Unterstützung notwendig – und das muss klar benannt werden.


3. Hustle Tracking & High Performance Loops – Selbstoptimierung als Kompensation

Während Privatpersonen in Skinny Mindset oder toxische Fitnesskultur rutschen, zeigt sich im Business eine andere Variante:

Hustle Tracking.
Apps, Dashboards, KPIs, Journals – alles, um die eigene Produktivität messbar zu machen.
Selbstoptimierung wird zur Routine, teilweise zur Pflicht.
„Maximiere dich selbst“ wird zum neuen „Arbeite schneller“.

Das klingt modern, professionell, ambitioniert.
Aber im Kern steckt oft ein Mechanismus:
Wenn das Außen instabil wirkt, kontrolliere ich wenigstens mich selbst.

Coaching kann hier hervorragend unterstützen:

  • Burnout-Prävention
  • Ressourcenmanagement
  • realistische Leistungsarchitektur
  • Entkopplung von Selbstwert und Output

Die Grenze liegt dort, wo Selbstoptimierung zur Selbstauslöschung wird.


4. Hyper-Organisation – Ordnung als Verteidigungsstrategie

Wenn Menschen anfangen, ihren Kalender in 15-Minuten-Blöcke zu unterteilen, jede Aufgabe in fünf Systeme einzutragen und Prozesse fast ritualhaft zu strukturieren, wirkt das professionell.
Ist es manchmal auch.
Aber Hyper-Organisation ist häufig ein Versuch, Unsicherheit im Außen zu neutralisieren.

Termine werden zur Struktur, Struktur wird zur Komfortzone, Komfortzone wird zur Einschränkung.

Coaching kann hier ansetzen, indem wir gemeinsam prüfen:
Was dient wirklich der Effizienz – und was ist nur ein Versuch, Angst zu managen?


Wo Coaching ansetzt – und wo klare Grenzen notwendig sind

Coaching ist wirksam, wenn:

  • jemand seine Muster erkennt, aber nicht weiß, wie er sie ändern soll
  • Kontrolle belastet, aber nicht dominiert
  • Führungskräfte den eigenen Anteil reflektieren wollen
  • Teams unter Kontrolle leiden und neue Kommunikationswege brauchen
  • Organisationen sich in einer High Performance Culture verlieren und Klarheit zurückgewinnen möchten

Coaching ist nicht der richtige Raum, wenn:

  • Kontrollverhalten zwanghaft geworden ist
  • Angstzustände oder Panikattacken auslösende Auslöser sind
  • der Alltag nur noch unter hohem Leidensdruck funktioniert
  • der Selbstwert komplett über Leistung oder Kontrolle definiert wird

Dann braucht es therapeutische Begleitung – und es ist wichtig, das klar auszusprechen.

Professionelles Coaching grenzt sich nicht ab, um sich zu schützen,
sondern um Menschen nicht in einen Prozess zu schicken, der ihnen nicht gerecht wird. Coaching kann hier jedoch die Therapie begleiten.


Der Kern für Unternehmen und Führungskräfte

Wer Kontrolle eng führt, tut das selten aus kaltem Kalkül –
sondern aus dem Versuch heraus, in einem instabilen Umfeld Halt zu finden.

Der bessere Weg ist nicht „weniger Kontrolle“,
sondern gesündere Mechanismen, um Unsicherheit zu tragen.

Coaching unterstützt dabei, diese Mechanismen zu entwickeln.
Nicht mit Floskeln. Nicht mit Optimierungsdruck.
Sondern mit Klarheit, Selbstführung und der Fähigkeit, auch in Komplexität ruhig zu bleiben.

Denn Kontrolle ist nicht das Problem.
Nur, wenn sie sich verselbstständigt.

Wenn du spürst, dass Kontrolle immer mehr Kraft kostet – lass‘ uns darüber sprechen.
Hier geht es zu meinen Kontaktdaten.
Nicht, um noch mehr zu optimieren, sondern um wieder Raum zum Atmen, Entscheiden und Führen zu schaffen.
Ich begleite Menschen und Organisationen dabei, Stabilität zurückzugewinnen – ohne sich selbst zu verlieren.


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